Marion Moutell im Gespräch mit der Kunsthistorikerin Dr. Beate Frosch 

Berlin, Juni 2024

 

BF: Als Autodidaktin hast Du bereits sehr früh zu einer ganz eigenen Bildsprache gefunden. Welche Inspirationsquellen oder wegweisenden Impulse gab es hier für Dich?

 

MM: Mein erster, wirklicher Impuls waren die Nähseiden und deren Farben im Lebensmittel- und Kurzwaren-Laden meiner Oma.

Ich hatte eine kleine Ecke im Lager. Dort habe ich mich eingerichtet. Die 10 cm in den Regalen, die vor den Stapeln von Kisten noch frei waren, habe ich fast alle benutzt. Dort standen meine Zeichnungen. Dort habe ich die Nähseiden nach Farben sortiert und täglich neue Kombinationen ausprobiert. Später habe ich sogar Nähseiden heimlich mit in die Schule genommen, um sie unter der Bank anzuschauen. Ich habe intensiv gespürt, dass Farben mich froh machen und auch trösten können. Nach einiger Zeit war alles voll mit meinen Zeichnungen. Da war ich 8.

Später als Jugendliche habe ich immer alles Taschengeld gespart, um mir bei Montanus in München, auf der Leopoldstraße, Kunstbände, die im Sonderangebot waren, zu kaufen.

Da nahm ich, was ich bezahlen konnte. Als z.B. ein Beckmann-Katalog angeboten wurde, habe ich ab dem Moment alle meine Figuren schwarz umrandet. Da war ich vielleicht 17.

Die Inspiration zu dieser Zeit hing also entscheidend von dem Angebot von Montanus ab.

Später dann entdeckte ich richtige „Schätze“, wie die Gruppe Cobra.

Und noch später hat mich Dubuffet „so richtig geflasht“. Das war meine Malerei. Da wollte ich hin.

De Kooning war noch wichtig - die Frauenbilder ganz speziell – und noch einige andere.

Ich war immer auf der Suche und so richtig hungrig.

 

BF: In Deinen Arbeiten dominieren figürliche Darstellungen. Sie scheinen teils einer Traum- und Phantasiewelt, teils aber auch der realen Welt zu entstammen. Kannst Du beschreiben, wie diese Figuren – ob Menschen, Tiere oder auch Zwitterwesen - Eingang in Dein Werk finden?

 

MM: Ich fange immer ohne feste Vorstellung an, meist mit Mustern, weil Muster Ordnung versprechen. Darüber lege ich immer wieder Schichten, die oft wieder weggekratzt oder übermalt werden. In diesem Prozess begegnen mir dann die Figuren, die manchmal wieder verschwinden oder ausgearbeitet werden. Zum Beispiel setze ich aus rein kompositorischen Gründen einen roten Punkt, der kann dann auch zu einer Zunge werden.  Der Prozess dauert oft sehr lange, Schicht um Schicht, bis sich irgendwann eine gewisse Klarheit einstellt. Es rastet irgendwie ein. Das ist ein sehr befriedigender Moment. Diesen Moment zu erleben, treibt mich an. Ich bin meist selbst erstaunt, wer mich da anglotzt. Ich könnte schon versuchen, diese Szenen zu interpretieren, mache ich auch oft. Es drängen sich manchmal auch Titel auf, die ich aber nicht verwende. Das Spiel mit den Geschichten , die beim Betrachten oft entstehen, leidet durch die eingrenzende Vorgabe der Titel. Aber letztendlich will ich Geschichten erzählen, denn die Figuren sind ja da und stehen in Zusammenhängen. 

 

BF: Es sind viele weibliche Gestalten darunter, aber auch Paare. Würdest Du zustimmen, dass mit diesem Personal auch ein spezifisch weiblicher Blick in Deinen Arbeiten aufscheint?

 

MM: Na ja, irgendwie schon. Man hat mich mal gefragt, warum ich immer so viele Brüste malen würde. Meine gemalten Brüste beschreiben wahrscheinlich die Vielschichtigkeit eines, meines weiblichen Lebens. Einmal sehen sie wie leergetrunken aus, nach einem verschwenderischen Leben voller Fürsorge, Selbstaufgabe und Pflichterfüllung. Ein andermal sehen die Brüste wie angeklebt aus. Als hätte sich die Frau nochmal fein gemacht, um den Männern zu gefallen. Sie erwartet das Wunder der Liebe. Dennoch zeigen die Brüste nach unten und nehmen die darauffolgende Enttäuschung schon vorweg. Ich thematisiere oft Frauen, die mit festlichen Kleidern zum Abholen bereitstehen und etwas erwarten, von dem sie eigentlich wissen, dass es doch nicht eintritt. Die Enttäuschung schlägt sich auf den Gesichtern schon nieder. Mich interessiert der Ausdruck von enttäuschter Erwartung, die Grenze, auf der es kippt.

 

BF: Charakteristisch für Deine Arbeiten ist das Nebeneinander von feiner, zum Teil geritzter Zeichnung und vielfach auch ornamental gestalteten farbigen Flächen, die ein collageartig wirkendes Ganzes ergeben. Die Oberflächen der Arbeiten zeugen von einem Arbeitsprozess in mehreren Etappen und mit vielen Überarbeitungen. Kannst du etwas zur Technik Deiner Arbeiten sagen?

 

MM: Ja, wie vorhin schon beschrieben, sind es sehr viele Schichten, die auch oft wieder zerstört werden. Es bleiben Reste von Papier oder Farbe stehen. Ich habe irgendwann gelernt, diesem Prozess zu vertrauen, mit der Gewissheit, dass etwas dabei rauskommt. 

Ich hebe alle möglichen Fetzen und Stoffreste auf, die ich dann immer wieder auf die Bilder klebe. Manchmal klebe ich auch Fotos von lieben Leuten oder Kinderzeichnungen von befreundeten Enkeln auf die Bilder, um ihnen in diesem Moment nahe zu sein. Die verschwinden zwar meistens wieder im Prozess, ich weiß aber, dass sie da sind. 

Anfangs klebe ich die Stoffe und Papierteile mit Acrylbinder auf. Irgendwann steige ich auf Eitempera um, weil es schnell übermalbar ist und trotzdem nicht die Plastikoberfläche von Acryl hat. Und wenn es eine gewisse Klarheit gibt und ich ungefähr weiß, wo es hingeht, verwende ich Ölfarbe und Kaltwachs. Auf dünnes Papier gedruckte oder gezeichnete Elemente sehen dann oft aus wie Tätowierungen aus, weil das Papier durch das Wachs transparent wird und die Farbe aber stehen bleibt. Ich mag gerne Flächen, die wie Haut wirken, organisch aussehen.

 

BF: In etwa vier Jahrzehnten ist – mit wenigen Pausen – ein Werk entstanden, das sich in seiner Eigenständigkeit aktuellen Strömungen in Malerei und Grafik entzieht. Sofern Du das überhaupt als relevant erachtest, hältst Du die oft vorgenommene Zuordnung Deiner Arbeiten zur Art brut für zutreffend  - und hilfreich? 

 

MM: Wenn man meint, es einordnen zu müssen, dann wäre das die Schublade, in der ich mich am wohlsten fühlen würde. Ich liebe diese aus den Tiefen des Bauches entstandene, aus krausen Gedanken gestrickte Kunst. Da fühle ich mich künstlerisch zuhause.

 

BF: Einigen Bildern merkt man Deine bayerische Herkunft an. Kannst Du dazu was sagen?

 

MM: Das Engelbecken hatte eine bayerische Küchenausrichtung. Wir wollten dies zeigen, ohne dass es zu „volkstümelnd“ rüberkommt. Dirndl und weiß-blaue Rauten waren im Engelbecken natürlich verpönt. Irgendwann hatte dieses Thema einen Niederschlag in meiner Malerei.

In dieser Zeit entstanden immer mehr Dirndlbilder, teilweise manchmal gruselig das „gnadenlose“ Bayern spiegelnd. Es kam schon mal vor, dass das Dirndl wie eine Zwangsjacke getragen wurde. Die Brüste quollen entweder heraus oder wurden flach eingepresst. Die als enges Korsett empfundene Tradition wurde sichtbar. Aber ich bin auch heimatverbunden. Ich bin gerne in Bayern. Und nach 37 Jahren Abwesenheit hört man es mir auch immer noch an.